Hallo Freunde und Interessenten,

Start in der Stadt

Es ist die 28. Nacht in Rom und ich starte meinen Block mit einem Kurzbericht von meinen ersten vier Wochen in Rom. Als ich am Samstag vor vier Wochen Rom angekommen war, hatte ich mich noch nicht richtig von Civitanova in Sannio verabschiedet. Ich hatte zwei wunderschöne Wochen in einem abgelegenen Teil von Molise zugebracht, in dem vor allem landwirtschaftliche Viehzucht betrieben wurde. Kühe, Schafe und Ziegen haben die Berghänge des Gran Montagnana bevölkert und ich durfte den Viehtrieb begleiten, der alljährliche aus den Bergen in die Täler von statten ging. Mir war das Glück beschieden, weil ich sogleich nette Leute kennenlernte und mich mit einem Bauern anfreunden konnte. Giovanni Lupone (the big wulf) zeigte mir seinen Hof, wie man Käse machte, ein mittelalterliches Schwert, das er in einem alten Haus gefunden hatte und eine Messerschleiferei im Nachbarort. Bei einem Ausflug zur ältesten Glockengießerei Italiens hatte ich eine Vision…

Auf Erkundung

… als ich mich dieser Landschaft widmete, stellte ich mir vor, was ich hier zu tun hätte, wenn ich hier geboren worden wäre…

In Rom angekommen musste ich erst einmal die Via Lennon finden. Meine Unterkunft trägt den sinnigen Namen „Imagine“ und beherbergt in 4 Zimmern bis zu 6 Gäste. Die Vermieterin bewohnt mit ihrer Tochter, ihrem Lebensgefährten und ihrem Sohn die Souterrainwohnung. Mein Zimmer ist klein, sauber, ausreichend möbiliert und mit einem kleinen Bad versehen. Ich fühle mich sogleich wohl. Ich habe eine Küche, eine Terasse und einen Garten zur Verfügung. Es ist warm wie im September, die Sonne scheint und ich erkunde die Gegend. Mit dem Rad glange ich in ca. einer Stunde ins historische Centrum. Dort finde ich auch die Schule Romit, in der ich für die ersten vier Wochen Unterricht nehme.

Ich mache mich mit dem Fahrrad auf den Weg und finde beim zweiten Mal auch eine Strecke entlang des Tibers, wo ich die unkundigen Autofahrer Roms nicht fürchten muss. Da geht es jetzt die ersten 3 Wochen zur Schule und ich genieße die Fahrt durch den Dschungel der Stadt.

Via del Boschetto, 118, Roma RM nach Via John Lennon, 29, 00128 Roma RM – Google Maps

Alltag in Rom

Am 24.10.22 erhalte ich einen Platz an der Schule „ScuolaRomit“ wo ich nach einem Test in die Stufe B2 eingestuft werde. In meiner Gruppe sind zunächst 6 Mitschüler, von denen Stefano aus Polen, Quendolina aus Peru, Rose aus Myamar, Celine aus Frankreich und Shiraz aus Tunesien ist. Wir können uns schon recht flüssig unterhalten und es ist interessant den Geschichten der Mitschüler zuzuhören. Claudio, unser Lehrer, regt viel zu Gesprächen an und vermittelt jeden Tag ein neues grammatisches Detail. Am Ende der Woche sind wir nur noch zu Dritt und werden zum Beginn der neuen Woche in eine neue Gruppe eingeliedert, wo sich fast 15 Schüler befinden. Diese schrumpfen im laufe der kommenden drei Wochen aber wieder bis auf acht zusammen, so dass ich kaum den Überblick behalte, welche Schüler sich wann in der Gruppe befinden. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Für mich bleiben Walter, Celine, Alyssa, Luara und Jonas mit denen ich mich öfter unterhalte und hin und wieder Essen gehe. Einige Verabredungen treffe ich auch mit zwei Skandinaviern, aber die verschwinden schon wieder nach einer Woche.

Im Unterricht geht es sehr lustig zu, weil alle ihre Fehler machen und die Lehrer – nach der zweiten Woche ist es Massimiliano – gerne Impulse setzen, die zum Lachen anregen. Wir arbeiten uns nach einem Input mit einer neuen grammatischen Form an Arbeitsblättern ab und bekommen Hausaufgaben, die aus Arbeitsblättern oder Abschnitten aus einem Grammatikbuch bestehen. Zum Schluss hatten wir den Auftrag ein Kunstwerk, das uns gefällt, zu beschreiben. Die Texte wurden unter Beachtung der neu erlernten Zeitformen erstellt und waren interessant und verständlich. Ich lerne dabei soviele neue Vokabeln, so dass ich kaum mit dem Üben hinterherkomme. Ein Mal in der Woche gibt es einen italienischen Film zu sehen und einen Nachmittag wird eine Führung durch die städtischen Quartiere veranstaltet.

Zwischendurch kümmere ich um die Beschaffung der Nahrung, die ich hier mit Genuss verzehre, kümmere mich um meine Ausstattung oder suche einen Zahnarzt auf, weil ich schon in der zweiten Woche Probleme mit einem Backenzahn bekam. Der Zahnarzt müht sich redlich mit einer Wurzelbehandlung in will mir noch vor Weihnachtn eine neue Krone verpassen. Montags besuche ich das Cafe Letterario, weil dort Sprachtandems veranstaltet werden und ich immer jemand treffe, der mich Italienisch lehrt und dem ich Deutsch beibringe. Aber es ist meist ein zwangloses Gespräch, bei dem sich herausstellt, dass die deutschsprechenden Italiener schon sehr geübt sind. Am Wochenende kümmere ich mich um meine Lebensmitteleinkäufe, meinen Blog und mache am Sonntag immer einen Ausflug in die Umgebung von Rom.

Piazza Navona

Ein Besuch auf dem Piazza Navona – ein typisches Stückchen römischer Geschichte. Unter der Woche treffen wir uns auf einer der durch die Schule geführten Touren auf dem Piazza Navona. Ein Stück Baugeschichte wird uns durch Claudio, einem Lehrer aus der Schule, nahegebracht. Es beginnt mit der Brasilianischen Botschaft, in der eine Feier angesichts des Sieges von Lula stattfindet. Aber wir sind nur Zaungäste, vielleicht weil wir nicht die richtige Garderobe mitbringen. Die Bauten am Platz stammen aus dem 15.-18.Jahrhundert und wurden im wesentlichen von der Familie Pamphij realisiert. Sie haben auf einem alten Stadion, das von dem Kaiser Domitian um 86 nach Christi errichtet worden war, die Palazzi und Brunnen errichtet, die den Platz zieren. Im Stadion wurden im wesentlichen unblutige griechische Wettkämpfe abgehalten. Diese waren aber weniger beliebt, so dass man es auch mal für die weitaus mehr begeisternden Gladiatorenkämpfe nutzte als das Colosseum nach einem Brand für längere Zeit nicht nutzbar war. Die leichtathletischen Spiele wurden von vielen Kaisern gefördert und fanden bis ins 4. Jahrhundert n.Chr. statt. Von dem sogenannten kapitolinischen Agon (griech. Wettkampf) leitet sich der Name Navona ab. Er etwickelte sich von in Angone über n’Agone zu Navona.

Auf dem Platz haben sich ein paar Bars, Restaurants und viele Gaukler und fliegende Händler angesiedelt. Claudio erzählt uns zu den Palazzi ihre Geschichte und Bauzeit. Dabei baut er immer wieder kleine Scherze ein. Z.B. dass eine Götterdarstellung auf dem mittleren Brunnen auf eine Madonnenstatue am Kirchenportal zeigt. Das kann aber nicht sein, weil selbige erst hundert Jahre später entstanden ist. Aber auf wen zeigt er dann? Der Gott sitzt auf einem seltsam aussehenden Pferd – einem Flusspferd. Das hat der Baumeister aber nie zu Gesicht bekommen, weshalb er nur seine Fantasie als Vorstellung heranziehen kann. Und das kommt dann dabei heraus.

Claudio erzählt uns weitere Geschichten zu den Brunnen, die alle von der Familie Pamphilij aufgestellt worden sind und von dem berühmten Baumeister Bernini errichtet worden waren. 1649 errichtete er auf der Mitte des Platzes den vier-Ströme-Brunnen (Fontana dei quattro Fiumi). Vier kolossale männliche Figuren symbolisieren die größten Ströme der damals bekannten vier Kontinente – Australien wurde später entdeckt – Donau, Nil, Ganges und Rio de la Plata. Sie lagern zu Füßen eines Obilisken, er wurde aus einer alten römischen Villa herbeigeschafft, um die Gesamtanlage einem antiken Circus anzugleichen.

Der VierStrömeBrunnen auf dem Piazza Navona

Vor dem Brunnen wurde die Kirche Sant‘ Agnese in Agone neu errichtet. Zu ihren Archtikten gehörten Borromini, der sie 1657 durch Bau der Kuppel und der Fassade vollendete. Der Platz gilt durch seine Esembels aus Kirche, Brunnen und weitläufige Anlage als eines der schönsten Beispiele italienischer Baukunst. Die Kirche sollte die Grablege der Pamphilj werden.Aus der Familie stammte Papst Innozenz, der den Palast mit den wunderschönen Fresken seiner Schwägerin Olimpia Maidalchini schenkte. Sein Nachfolger Alexander VII jagte sie dann aber aus der Stadt auf eine Lehe im Dorf San Martino al Cimico. Dort ließ sie dann von Boromini und Bernini eine exakte Kopie der Piazza Navona erbauen. Claudio erzählt noch viel über den Platz, der ihm sehr am Herzen lag. Nach 2,5 Stunden sind wir so platt, dass wir uns in das Lokal Navonna Notte retten müssen. Claudio, erschöpft von seinen Ausführungen macht sich sogleich auf den Heimweg. Wir zwängen uns mit einer 16 Menschen starken Gruppe in das kleine Lokal und verzehren Bruschetta mista und Pasta. Meine Spaghetti con Cozze, Pecorini e Pomodorri ist so üppig, dass ich am Folgetag noch davon essen kann. Der Primitivo, den ich mir mit Gesu, Celine und Luara teile schmeckt herrlich.

3.12.2022

Ich bin jetzt seit 7 Wochen in Rom und kenne doch nur einen kleinen Teil. Alltags beschäftige ich mich mit der Sprache und am Wochenende veranstalte ich Ausflüge in die Umgebung. Heute möchte ich mal aus einem einfachen Freitag berichten um eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie mein Alltag aussieht. Ich stehe in der Regel zwischen 6.30 und 7.00 Uhr auf, je nachdem ich mich für eine Stunde Yoga oder baldiges Frühstück entschieden habe. Gestern war es 7.00 Uhr. In der Küche hat sich Routine eingeschlichen. Kaffemaschine einschalten, Milch auf den Herd aufsetzen, Tisch decken. „Danach Kaffee brühen, Milch schäumen und gezuckert auf den Tisch stellen. Ich frühstücke im Wohnzimmer, „soggiorno“ genannt. Nach einem deutschen Frühstück mit Brot, Butter, Käse, Marmelade und Obst oder Joghurt mache ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg in die Stadt. Das Fahrrad parkt auf der Terasse und ist immer geladen. Für die 17 km bis zur Schule brauche ich ca 50 Min und etwa 50 % der Batteriekapazität, weil ein paar Hügel dazwischen sind. Die letzten drei Wochen bin ich mit Bus und U-Bahn zur Schule gefahren, aber 1. braucht das mehr Zeit, je nach Verbindung 60 – 75 Min und zweitens ist heute Streik und deshalb unsicher, welche Linie wann fährt. Die Zeiten sind eh nie zuverlässig, weil die Busse im römischen Verkehr keine verlässlichen Zeiten haben. Zum Glück gibt es eine App, die angibt, wann der nächste Bus die Haltestelle anfährt. Das klappt ganz gut.

Auf meinem Weg in die Stadt passiere ich heute mit dem Fahrrad Brücken, Paläste, Sportstadien und viele Bars, Restaurants und Geschäfte.

In der Schule komme ich nach meinem abenteuerlichen Ritt am Tiber, über die Piazza Venezia und durch die Gassen gegen 9.15 an und bringe mein Fahrrad zum Laden auf den Hof. Der Unterricht beginnt pünktlich um 9.30 Uhr und Massimiliano, unser Lehrer startet mit einer Fragerunde zu den Erlebnissen am gestrigen Tag. Das fördert interessante Eindrücke zu Tage und enthält wichtige Tips zur Gestaltung der Tage. Heute sind nur 6 von 12 anwesend. Anscheinend hält eine Erkältungswelle und der Streik einige vom Erscheinen ab.

Wir üben heute Zeitformen im Indikativ. Das ist für mich einfacher, so scheint es, denn ich mache auf dem Übungsblatt einige Fehler. Ich glaube im Italienischen ist es genau umgekehrt zum Deutschen, denn der Imperfekt wird für Ereignisse angewendet, die noch nicht abgeschlossen sind, während die einfache Vergangenheit, der Passat, verwendet wird um abgeschlossene Ereignisse zu markieren. Wir arbeiten uns durch zwei Seiten Text zur Geschichte eines bekannten italienischen Journalisten, der in den neunzigern für den Spiegel geschrieben hat. Interessant wird es wieder als wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob man die Ironie in Karikaturen verstehen. Hier wird es recht lebhalft, weil die Bilder anregend und doppelsinnig sind. Wir haben alle viel Spaß.


29.11.2022 Besuch in den Vatikanischen Museen

Bestimmt eine der interessantesten Kultur- und Kunstschätze in der Stadt. Wir waren zu dritt und haben uns einiges angeschaut, aber längst nicht alles.

Nach der Schule steige ich gleich aufs Fahrrad und nehme eine andere Strecke zur Via Lennon in Vallerano/Spinaceto durch die Stadt. Es geht zum Glück nach dem Kolosseum auf einem Radweg an der Avenue Christophero Colombo entlang durch den Süden der Stadt. Immer wieder muss ich Schülergruppen und Hundebesitzer vom Weg klingeln. Der Weg wird so wenig von Rädern genutzt, dass sich andere Verkehrsteilnehmer den Weg in Beschlag nehmen. Auf dem Weg streife ich einen Kleidermarkt, auf dem ich mich schon seit ein paar Tagen umschauen wollte. Er ist auf jeden Fall immer Freitags. Aber heute steht mir nicht der Sinn danach, ich will auf jeden Fall noch einen preiswerten Mittagstisch in der Nähe meines Zimmers erreichen. Dort bekomme ich eine Pasta mit Zucchinis und Shrimps, die leidlich gut mundet. Als Secondo fällt meine Wahl auf Bohnen mit Hacksteak, was auch schmeckt. Das Menü mit Wasser und Cafe kostet 10 € ist reichlich und ich weiß nun, warum es mir schwer fällt hier abzunehmen.

Zuhause angekommen mache ich zuerst ein Mittagsschläfchen und kümmere mich bei einer Tasse Kaffee um mein nächstes Quartier ab 4.Januar. Meine Unterkunft ist schon vermietet. Aber das ist mir nicht unrecht, denn ich wollte sowieso näher in das historische Zentrum. Ich verliere so viel Zeit mit der langen Anfahrt. Ich verfasse eine Mail an Isabelle, eine Vermieterin, die von der Schule empfohlen wird, die am Abend auch gleich antwortet. Das Quartier sagt mir zu und ich bitte um ein Treffen, nachdem ich die Bilder gesehen habe. Danach telefoniere ich mit Jo in Kirchbauna und Karl-Heinz in Bremen. So halte ich etwas Verbindung zur Heimat und fühle mich nicht so aus der Welt. Mit Jo hatte ich einen interessanten Austausch über ein Schwert, das der Bauer in Molise gefunden hatte und das ein auffälliges Motiv auf dem Griff hat. Jo meint es sei ein Motiv von Leonardo da Vinci, „Leda mit dem Schwan“, was das Schwert interessant macht. Giovanni Lupone bekamm leuchtende Augen als ich ihm die Herkunft der Verzierung schilderte und wollte mal in Rom recherchieren, was es wert sein könnte. Von Karl-Heinz erfahre ich wie es in Bremen aussieht und wir verabreden uns für die Zeit um Weihnachten. Nach einem schmackhaften Nachtmahl in meiner Behausung ziehe ich mich zur Lektüre in mein Zimmer zurück. Aber irgendetwas hält mich vom Lesen ab. Ich recherchiere noch ein paar Wohnungen und schlafe bald ein

10.12.22 An der Spanischen Treppe

Am 8.12.22 unternehme ich einen Ausflug zur Villa Borghese um in der Galleria die Kunstwerke von Bernini und Michelangelo zu bestaunen. Aber ich bin nicht besonders ortskundig und lande erst einemal im Museo national del arte moderna, das auch im großen Park der Borghese ist. Am Eingang frage ich nach den berühmten Statuen und werde darüber belehrt, dass ich mich im falschen Museum befinde. Die richtige Sammlung befindet sich auf der anderen Seite des Parks. Dorthin finde ich nach 20 Minuten Fussweg.

Aber dort will man mich nicht hineinlassen, weil alle Tickets für den Tag schon verkauft sind. Ich erstehe ein Ticket für Sonntag um 14.00 Uhr. Das Zeitfenster umfasst 2 Stunden. Um alles zu sehen soll das reichen. Sicherheitshalber frage ich noch nach weiteren Möglichkeiten im neuen Jahr. Am ersten Sonntag des Monats gibt es freien Eintritt. Tickets dafür lassen sich erst 14 Tage vorher buchen. Die Dame an der Kasse ist sehr freundlich und unterhält sich mit mir auf italienisch. Prima, ich werde verstanden.

Ich mache mich auf den Weg in das historische Zentrum und möchte über die spanischen Treppen, Trevi-Brunnen zur Kirche San Giovanni di Laterano laufen um noch ein bisschen Atmosphäre zu tanken. Schließlich ist Feiertag und viele Menschen sind auf den Beinen. Auf dem Weg verzehre ich meine Orange und beobachte die Menschen im Park. In der Nähe der Spanischen Treppen nehme ich ein Fischrisotto zu mir, das natürlich völlig überteuert ist. Man befindet sich hier im touristischen Zentrum der Stadt. Allerdings habe ich ein nettes Gespräch mit zwei Araber aus Ägypten und Dubai, den ich bei der Suche nach einem Zug nach Venedig helfe. Immerhin habe ich die wichtigsten Informationen auf meinem Handy und kann auf der passenden App die Abfahrtszeiten checken. Sie sind sehr freundlich und dankbar und machen sich bald auf den Weg. Sie erobern Europa an fünf Tagen. Länger wärt ihr Urlaub nicht.

Ich mache mich gemütlich auf den Weg zur Spanischen Treppe, wo ich dieses Foto schoß

Ja, da sitzt er, unser oberster Hirte im Rollstuhl, weil seine Hüften nicht so mitmachen wollen. Für diese Bild muss ich auf dem obersten Absatz der Treppe verweilen, weil alles andere übervoll ist. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie es hier zugeht, füge ich noch ein paar Bilder dazu:
In die Gassen drängen sich ein paar tausend Menschen um dem Papst ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Alle warten auf Francesco – in den Gassen drängen sich tausende um Francesco ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bleibe in sicherer Distanz, weil in den engen Gassen gibt es keine Fluchtwege. Aber alles ist ruhig und die Menschen wollen nur ihren Papst am

Es ist weihnachtlich und man trifft sich in der Stadt, wo was los ist. Ich unterhalte mich mit einigen Polizisten, die die Treppe abgesperrt haben. Aber, was dabei herauskommt, sieht man hier. Die Treppe ist wirklich ausnehmend schön und ich bleibe noch ein bisschen bis ich herabsteige und meinen Weg fortsetze. Ich wollte ja noch ein bisschen durch die Stadt schlendern und die Atmosphäre einfangen, die hier herrscht. Unten angekommen hat sich der Papst längst verkrümmelt und die Rowdies sind mit der Beseitigung der Technik beschäftigt, die für den Papst und die Fernsehaufnahmen installiert war. Das Herabfallen und Auffangen einer Lautsprecherbox aufzunehmen gelingt mir nicht. Ich habe meine Kamera nicht immer schußbereit.

Am Ende diese wunderschönen Nachmittages beschließe ich meinen Weg fortzusetzen – zum Trevi-Brunnen. Aber ich mache mir keine Hoffnung ihn überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Zu voll sind die Gassen. Aber ein Eis wird sich finden lassen und ich habe ja noch den Weg zur Kirche mit Papst-Thron vor mir. Nur die Zeit fließt so dahin, und man bekommt einfach nicht alles gebacken, was man sich vornimmt.

07.01.2022 Acilia

Nun bin ich in Acilia und ich muss sagen, es ist mir diesmal etwas schwerer gefallen wieder nach Rom zu fahren. Warum nur? Es ist nicht mehr so neu und die Neugierde hat sich in Grenzen gehalten. Ausserdem habe ich schon viel gesehen und ich weiß nicht, was ich noch hinzufügen kann. Die Fahrt war ruhig und unkompliziert. Ich hatte extra einen frühen Zug genommen, damit ich den Anschluß nicht verpasse. Aber der ICE war pünktlich und ich musste mich 3 Stunden in München rumdrücken. Zum Glück kenne ich am Bahnhof die Kantine der Bahnbediensteten am Gleis 24. Dort kann man passabel essen. Ich mache einen kleinen Ausflug zum Rossmann, drei Straßen weiter und erwerbe ein Fläschchen Rotwein und eine Flasche Wasser für die Nacht. Die Fahrt ist ohne besondere Vorkommnisse. Ich versuche mich ein bisschen mit dem Schaffner, einem Afghanen, zu unterhalten, aber ihm ist kaum ein Lächeln zu entlocken. Er ist zu gestresst. Mir scheint er steht unter Beobachtung eines älteren Kollegen, der uns hin und wieder fragt, ob sein Kollege, dies oder jenes gemacht habe. Strano!

In der Via Pontina finde ich mein Auto „unverletzt“ vor und bin froh, dass alles an seinem Platz ist. Warum fürchte ich den Verlust so? Die lange Abwesenheit hat mir das Gefühl gegeben, in der „Fremde“ nicht so gut geschützt zu sein. Ein wenig genährt werden derart Ängste auch von den Mahnungen im Zug sich in Italien ja im Abteil einzuschließen. Der ältere Schaffner unterstreicht seine Warnung mit dem Ausruf: „Wir sind in Italien!“ als würde das automatisch bedeuten wir seien von marodierenden Banden und Wegelagereren umgeben. Ich habe mich eigentlich immer recht sicher gefühlt und selbst nachts auf dem dunklen 2 km langen Weg vom Bus zum Haus nicht gefürchtet. Der naive alltägliche Rassismus des Österreichers stört mich. Irgendetwas hat sich verändert.

Meine Wohnung befindet sich im Souterain des Hauses von Giulia und Massimiliano. Sie wird gut geheizt und ist noch etwas spartanisch eingerichtet. Mittlerweile habe ich noch einen Sessel und einen Tisch bekommen, damit ich nicht immer zum lesen auf dem Bett liegen muss. Dort schlafe ich nämlich zu schnell ein.

Im Schlafzimmer habe ich zwei Schränke und neben dem Bett meinen Nachtisch. Auf dem lege ich nachts immer mein Buch, Brille und Handy ab.

In der Küche kann ich endlich das zubereiten, das mir beliebt. Sie ist einfach aber übersichtlich und was noch fehlt erwerbe ich für kleines Geld beim „Chinesen“. Eine Sorte Verkäufer in Italien, die massenhaft chinesische Billigware verkaufen. Aber für einfache Haushaltsartikel und Fahrradausrüstung kann man schon mal den Fuss reinsetzen.

Die erste Nacht verbringe ich allein im Haus in Acilia, Massemiliano und Giulia sind noch nicht eingezogen, weil die Maler noch am Werk sind. Aber sie haben alles nett vorbereitet und mir was zu essen und Wein in den Schrank gestellt. Das Gefühl der Unsicherheit wird noch dadurch bestärkt, dass die Grundstücke von hohen Mauern umgeben sind und ich durch zweit vergitterte Tore muss, um zur Wohnung zu gelangen. Ach, wie gemütlich ist es doch in Holland und Skandinavien, wo auf solche Sicherungsmaßnahmen in der Regel verzichtet wird. Es ist, als stünden die Römer noch unter dem Eindruck des akuten Einfalls von Goten, Vandalen und Lagobarden, die die Stadt vor 1600 Jahren geplündert hatten.

05.01.23 Frascati

Am Donnerstag hole ich einen Ausflug nach Frascati nach, den ich im Dezember abgebrochen habe, weil ich keinen Parkplatz gefunden habe. Ich möchte eine Wanderung über die Berge hinter der Stadt machen, die sich bis auf fast 800 m erheben und einen herrlichen Blick auf Rom und die Umgebung bieten. Allerdings wird aus der Wanderung nichts. Mir steckt die Reise noch in den Knochen und nach anfänglichen Sonnenschein hat es sich eingetrübt. Ich beschließe dieses Vorhaben auf eine sonnigen Tag zu verschieben. So setze ich mich nach einem Stadtbummel ins Auto und fahre die 9 km nach Rocca Priora. Von dort auf ca 700 m Höhe hat man einen herrlichen Blick auf die Ebene und die Albaner Berge.

Villa Aldobrandini – leider geschlossen und für eine Besichtigung nicht zugänglich

Ein typischer Platz in Frascati an einem ruhigen Wintertag.

Trüber Blick von Rocca Pietra in die Berge hinter Frascati. Der berühmte Wein ist an jeder Ecke zu kaufen – allerdings nicht in dem Weinladen, in dem ich am Ende meines Spaziergangs eingetreten bin. Seltsam, der Verkäufer beschwert sich, dass alle Touristen bei Ihm Frascati kaufen wollten, dabei kommen die besseren Weine Italiens aus anderen Regionen.

15.01.2023 A Casa

Die erste Woche in der Schule ist ohne besondere Vorkommnisse. Ich übe jeden Morgen in der U-Bahn meine Vokabeln, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich besonders vorankomme. Ich finde es geht etwas zu langsam. Ist es mein übertriebener Ehrgeiz, der mich antreibt schneller voranzukommen? Oder bin ich zu faul mehr zu üben? Oder bin ich blockiert, weil nicht mehr alles so neu ist und sich eine lähmende Routine einstellt? Wahrscheinlich erweitert sich mein Wissen, ohne dass ich es realisiere. Aber wenn ich spreche, fallen mir die vielen Fehler auf, die ich noch mache. Ich brauche jemanden, mit dem ich mich im Alltag regelmäßig austauschen kann. Die Schule bietet ein Forum, auf dem ich neue grammatische Regeln lernen kann, aber die Übungszeit ist zu knapp. Ich möchte mir jemand suchen, mit dem ich meine Eindrücke teilen kann, der oder die an einem ähnlichen Punkt des Spracherwerbs steht und mit dem ich meine Erkundungstouren gemeinsam gestalten kann. Bisher ist mir nicht aufgefallen, wie wichtig es ist jemand an seiner Seite zu wissen, der/die den Alltag mit mir teilt. Ja, ich habe gelegentlich Verabredungen zum Essen mit Mitschülern, letzte Woche mit Adriano am Mittwoch und mit einer kleinen Gruppe am Freitag. Auch Massimiliano treffe ich gelegentlich zu einem Kaffee und einem Spaziergang. In der jetzigen Gruppe ist ausser Adriano niemand, der so wirklich zu meinen Interessen passt. Aber auch er steht nich immer bereit für gemeinsame Unternehmungen, weil er nach der Schule häufig arbeitet. Ausserdem ist er mit einem Mann in Kanada verpartnert und ich möchte nicht, dass er den Eindruck gewinnt, ich erwarte von ihm mehr als gelegentlichen Smalltalk. Doch zu meiner letzten Erkundungstour nach Tarquinia, zu den etruskischen Gräbern habe ich niemand gefunden, der mich begleitet. Also habe ich mich allein auf den Weg gemacht.

14.01.2023 Escursione al Tarquinia

Nach Tarquinia nehme ich die Regionalbahn, die mich nur 12 € kostet statt 40 € für Benzin und Maut fürs Auto. Der Zug ist modern, sauber und schnell. Ich frage mich, wie das die italienische Staatsbahn finanziert. Es sind immerhin 90 km, für die ich in Deutschland ca 45 € hin und zurück bezahlen müsste. Allerdings habe ich erst ein bisschen Bammel, weil ich nach Buchung des Tickets per internet eine falsche Abfahrtszeit im Ticket ausgedruckt bekomme. Ein Schaffner, der für den Zug nicht zuständig ist, teilt mir mit, dass ich strenggenommen den Zug nicht nehmen dürfe, aber ich solle mit dem zuständigen Schaffner sprechen, der allerdings nicht kommt. Am Bahnhof in Tarquinia nehme ich den Bus der mich schnell ins Zentrum bringt. Dort treffe ich auf schöne Gassen und Plätze, die erstaunlich ruhig sind. Denn es ist Samstag und meistens herrscht geschäftiges Treiben in den Städten auf dem Land. Ausser mir sind nur wenig Touristen auf dem Weg zu den etruskischen Gräbern. Dort treffe ich auch nur wenig Menschen an. Und an der Kasse zum Eintritt in den Park scheint man hocherfreut über jeden Eintretenden zu sein. Sonst vergeht ja die Zeit auch nicht. Ich werde jedenfalls mit einem freundlichen Lächeln empfangen.

Am Marktplatz von Tarquinia ist nichts los.

Ich spaziere in der Sonne an der schönen Stadtmauer entlang. Im Hintergrund schaukeln die Wellen des Mittelmeeres sanft unter einem strahlenden Himmel. Die Italiener sind wirklich verwöhnt durch ihre häufigen Sonnenstunden. Ich kann mir gut vorstellen, warum hier schon früh die Germanen-Völker durchgezogen sind und viele Reisende Erhohlung und Labsal gesucht haben. Schließlich gehöre ich auch dazu. Oberhalb der eingefriedeten, mittelalterlichen Stadt stehen viele neue Häuser und alle haben ihre Fenster und Balkone mit Blick zum Meer ausgerichtet. Am Rand der Stadt treffe ich schließlich auf die Anlage der etruskischen Gräber. Sie haben sich für ihre Siedlung und schönen langgezogenen Hügel ausgesucht der nach allen Seite eine herrliche Aussicht offenbart.

Der Blick nach Norden in die Landschaft Latiums – eine Region, die hier Ähnlichkeit mit den Landschaften der Toskana aufweist und zunehmend von Touristen heimgesucht wird.

Heute sind nur wenige Besucher anwesend, obwohl man mir versichert hat, dass es eine der bedeutensten Museumsanlagen in Italien sei. Aber das werden wohl viele Italienische Communen von ihren Einrichtungen sagen. Ich geniesse die Aussicht und steige in die vielen Gräber hinab, um mir die schönen Malereien anzuschauen. Leider sind sie mittlerweile wegen der schädlichen Ausdünstungen der vielen Menschen, die daran vorbeidefiliert sind nur noch durch Glas zu betrachten. Das hat den Nachteil, dass durch Kondensationsbildung im Winter einige Objekte nur schlecht zu sehen sind. In den Grabkammern waren viele steinerne Sarkophage, die mittlerweile in einem Museum im Ort abgestellt sind. Um sie herum wurden lebhafte und fröhlich stimmende Motive an die Wand gemahlt um den Weg ins Jenseits zu erhellen.

Die Motive der nahezu 2500 Jahre alten Gemälde erinnern an ägyptische Szenen, die ich schon als Kind auf den Vasen und Illustrationen in Schulbüchern und in den Ausstellungen über den Tutanchamum in Berlin bewundert habe. Die Farben sind teilweise frisch und kräftig und die Bilder stellen Motive aus dem Alltagsleben jener Zeit dar. Wobei auch viele Tiere, u.a. Löwen, Leoparden und Geparden abgebildet sind. Die Etrusker haben Handel mit den Karthagern und den Kelten betrieben und hatten deshalb Eindrücke aus vielen Teilen der alten Welt.

Nach einem „Pisolino“ (kleines Schläfchen am Nachmittag) gehe ich zurück in die Stadt um mir es bei Kaffee und Kuchen gut gehen zu lassen. Ein älterer Herr setzt sich zu mir, mit dem ich kurz ins Gespräch komme. Aber er nuschelt so, dass ich ihn nur schwer verstehe.

Im Museum von Tarquinia sehe ich all die schönen Grabbeigaben, die neben Gegenständen der Nahrungszubereitung, Schmuck und Artikel zu Verschönerung des Hauses auch Spielzeuge und kleine Werkzeuge umfassen. Die Etrusker hatten eine sehr anschauliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod, was mir sympathisch ist, auch wenn ich selbst der Überzeugung bin, dass ich zu Staub zerfallen werde und wenig Verwendung für die Dinge hätte. Aber in so ein schönes Fenster der Vergangenheit schauen zu können hat etwas sehr tiefgründiges und vermag mich mit einem Gefühl der Verbundenheit mit den Menschen der Frühzeit zu erfüllen. Meine Sehnsucht nach Kenntnis der Vergangenheit offenbart auch meinen Wunsch nach Teilhabe an dem menschlichen Weg, den ich noch viel zu wenig kenne. Ich versuche mir dabei vorzustellen, wie die Menschen zu jenen Zeiten gelebt haben, nach welchen Regeln und Riten sie ihre Zusammenkünfte organisiert haben und auch ein bisschen, wo mein Platz gewesen wäre, wenn ich hätte dabei sein können. Und angesichts der Schönheit und Einzigartigkeit ihrer Schöpfungen verfalle ich manchmal auch in eine romantische Stimmung. Die Schrecken der Kriege, Unterdrückung und Sklavenhaltung und die Grausamkeit der Opferriten bleiben seltsam abstrakt, auch wenn sie unbedingt dazu gehören.

16.01.2023 Krise

Zurück in Rom bin ich wieder mit den Zuständen der modernen Zeiten konfrontiert. Zersiedlung, massiver Individualverkehr, vollgestopfte U-Bahnen. Undurchsichtige Gesichter. Hin und wieder ein Bettler oder ein Verrückter, der auf dem Bahnsteig meint Allen aus seiner Vergangeheit berichten zu müssen. Fetzen seiner Erzählungen sind mir verständlich. Es geht um Fussball, Politik und irgendwelche Familienmitglieder, dazwischen stimmt er Lieder an: armer Mann.

Mich beschleicht im Verlauf der nun folgenden Woche ein Gefühl der Heimatlosigkeit, der Sehnsucht nach dem Vertrauten, den weiten grünen Wiesen um Bremen, den Radtouren, die ich dort gerne mache und der Sprache, die ich in allen Feinheiten und Verästelungen verstehe. Auch das Brot und die Speisen, die ich aus Bremen gewohnt bin fehlen mir. Das erste Mal seit langem weiß ich wieder was Heimweh ist.

21.01.23 Aufbruch

Aber meine Mission ist noch nicht erfüllt. Ich will mich weiter in die Sprache vertiefen und auch versuchen, in Italienisch zu lesen, Radio zu hören und fern zu sehen. Ich stoße leider immer wieder an Grenzen meines Verständnisvermögens. Ich habe zwar viele Sprechanlässe, Mitschüler, Lehrer, Einkäufe, aber so flüssig, wie ich es mir wünsche, kommt es nicht aus meinem Mund. Irgendetwas fehlt, was mein Fortkommen erleichtern würde. Mehr soziale Aktivitäten, Tanzen, Singen, Sport machen kommt mir in den Sinn. Die Schule ist zu wenig. Ich wünsche mir jemand, der/die mit mir durch die Stadt streift und seine Eindrücke mit mir teilt. Ich bemühe mich, frage in der Schule nach, vor allem für die Unternehmungen am Wochenende, aber ich bin nur wenig erfolgreich. Alle scheinen mehr oder weniger eingebunden und manche, deren Aufmerksamkeit ich gewinne, sind nur für kurze Zeit in Rom. Liegt es an der Situation, dass es Winter ist, kalt und nass, dass die Menschen weniger zugänglich sind, ist es das städtische Leben, das angesichts der erzwungen Nähe, dem Gedränge, Abgrenzungen erfordert, ist es mein Alter oder woran liegt es, dass ich nicht mehr so sehr die spontane Zugänglichkeit verspüre, die mich in der Vergangenheit so getragen hat.

Museum in Tarquinia

Ich denke manchmal an meinen Vater, der so viele Reisen und Ausflüge allein unternommen hat, obwohl er eine so große Familie um sich geschart hat. Seine Bilder beschrieben Landschaften, die niemand mehr zuordnen kann. Sein Ego behinderte seinen Wunsch nach Akzeptanz und Anerkennung. Was hat er gesucht? Was suche ich, wenn ich mich entschließe, einen so langen Zeitraum allein in der Fremde zu verbringen? Wie hat er sich gefühlt? Ist es eine väterliche Hypothek, dass ich mich unter schwierigen Bedingungen zurechtzufinden suche. Durchlebe ich nochmals seine innere Isolation?

Wenn ich so etwas denke und schreibe, befällt mich Traurigkeit. Jetzt 50 Jahre nach seinem Tod holt mich der Schmerz wieder ein, den ich schon als Kind/Jugendlicher verspürt habe, als ich mir gewahr wurde, wie wenig mir von ihm blieb. Auf der anderen Seite weiß ich als Erwachsener nur zu gut, dass es angesichts der Vielzahl von Kinder in meiner Familie nicht viel geben konnte. Ich weiß um die Schwierigkeiten in seinem Verhältnis zu meiner Mutter und dass uns der flauschige Teppich der Fürsorge füreinander, auf dem wir hätten gedeihen können, fehlte.

Jetzt muss ich aufpassen, dass ich Euch nicht mit rührseligen Wendungen langweile. Viel interessanter wäre es von meinen schönen Begegnungen, die es auch gibt, zu hören. Meine Begegnung mit Andrea Buratti am Montag, der mir immer wieder seine Sympathie vermittelt. Mittwoch und Donnerstag Ausflüge in die Stadt. Rundgänge mit Mitschülern, Konzertbesuch am Freitag, Gespräche und Begegnungen mit Massimiliano, dem ich bei der Beschaffung seiner Möbel helfe, wofür ich zum Essen von seiner Frau eingeladen wurde. Und morgen geht es nach Neapel. Ein neuer (selbst gestellter) Beobachtungsauftrag will erfüllt werden. Ich bin gespannt was mich erwartet.

24.01.2023 Neapel

Meine Fahrt nach Neapel ist ruhig und beschaulich. Links neben mir türmen sich die schneebedeckten Abbruzen. Die Landschaft ist winterlich reizlos. Nur Pinien und Nadelgehölz und das niedrig stehende Gras tragen grün. Der Weg wird von weiten Äckern, Olivenhainen und Weinfeldern gesäumt. Die gut ausgebaute Autobahn kontrastiert mit den maroden Straßen der Großstadt. Aber das ist klar, hier wird viel Geld verdient, damit der Fernverkehr fließt. Die Kosten für die Autobahn machen ein Drittel der Gesamtkosten für die Fahrt aus. Ich kann mich nicht dazu durchringen die kleinen Straßen an der Küste zu nutzen, da es mehr Aufmerksamkeit kostet und entspanntes Reisen durch die Vielzahl von Orten und Richtungsänderungen schwer möglich ist. Ich erreiche schon nach 2,5 Stunden Neapel und bin in einer völlig anderen Welt. Ein unübersichtliches Gewirr von Straßen und Gassen, in denen ich trotz Navigation einige Extra-Routen drehen muss. Die Suche nach einem bewachten Parkplatz gestaltet sich erwartungsgemäß schwierig, da am Sonntag die meisten Häuser geschlossen haben.

Mein erster Spaziergang führt mich über den Corso Emanuelle in Richtung historisches Zentrum. Es ist kalt und regnet zuweilen. Der Schmutz der Müllkatastrophe von 2008/09 ist lange weggeräumt und die Attraktionen der Stadt erscheinen vielfach in frischrenovierten Farben. Zugleich fallen aber an vielen Stellen, besonders in den Gallerien und Arkaden der weniger frequentierten Straßen die Kartonagen der vielen Einwanderer auf, die auf dem Weg nach Europa inden italienischen Großstädten stranden. Wovon in Rom noch wenig zu sehen ist, hat man hier deutlich vor Augen. Als fliegende Händler bemühte Afrikaner, eine Vielzahl von Bettlern und kleine Geschäfte, die alles feilbieten, was der Tourist auf der Suche nach Folklore begehrt und der Italiener im Alltag bedarf. Die Bewohnerdichte erinnert an Mumbai, und der Straßenschmuck soll auf die volkstümliche Ausrichtung der Stadtkultur aufmerksam machen, wie mir ein Polizist erklärt. Überall hängen Fähnchen und Wimpel sowie Unterwäsche an Leinen. Es ist als hätte man das Straßenbild vergangener Tage, das von der trocknenden Wäsche zwischen den Häusern geprägt war zu einer kulturellen Demonstration umgewidmet.

Ich fühle mich leicht angespannt, da ich auch nicht frei von der Furcht vor der kriminellen Geschichte der Stadt bin. Aber mein Zutrauen in die Redlichkeit und Freundlichkeit der Stadtbewohner wächst mit jedem Stadtspaziergang. Und ich möchte meinem Stadtführern Frank Helbert und Gabriella Vitiello (Neapel, Dumont direkt) beipflichten, wenn sie schreiben, das Image der Stadt hat sich durch die Maßnahmen der Stadtentwicklung, Verkehrsreduktion, Renovierung und Entrümpelung erheblich verbessert. Die Stimmung ist freundlich-gelassen allerdings wegen der Kälte und des Regens auch etwas reserviert. Einzig ein Spaziergang auf einen stadtbekannten Ausflugspunkt auf dem Hügel Voremo veranlasst mich zu mehr Vorsicht. Auf dem Rückweg verkneife ich mir den Abstieg über eine winzige, einsame Gasse, weil ein nachlässig gekleideter junger Mann meine Fährte aufgenommen hat und nachdem er mich überholt an einer Ecke auf mich zu warten schien. Ich bin im Nahkampf nicht ausgebildet und begebe mich auf den Rückweg über die Seilbahn, der deutlich belebter ist.

24.01.2023 Neapel

Am Dienstag begebe ich mich angesichts des schönen Wetters auf einen Ausflug nach Posillipo, dem Viertel der Reichen, die ihre Grundstücke wegen der grandiosen Aussicht auf die Stadt gewählt haben. Die Häuser sind in einem besseren Zustand und soweit sie aus dem 19. Jahrhundert stammen auch reich verziert. Ich nutze die Untergrundbahn, die hier in der Größe eines modernen Regionalzuges unterwegs ist. In Mergellina steige ich aus und erreiche nach einem kurzen Spazierweg den Yachthafen, wo ich mich auf einer Mole nahe am Wasser in die Sonne lege. Ist sind 13°C und in der Sonne richtig warm. Endlich einmal. Ich habe es sehnsüchtig erwartet Neapel auch einmal in der Sonne erleben zu dürfen.

Im Sommer ist es im historischen Zentrum wahrscheinlich hilfreich, dass die Häuser so eng und hoch gebaut sind, halten sie doch die starke Sonneneinstrahlung fern, aber im Winter ist es meiner Ansicht nach zu kalt und zu dunkel in den engen Gassen. Ich bin mir unsicher, ob sie wegen der Armut so eng gebaut wurden oder wegen der Hitze. Die Bevölkerungsdichte ist mit über 12000 Menschen auf einen Quadratkilometer recht hoch. Die meist 6-8-stöckigen Häuser beherbergen mehr Menschen als auf den Straßen zu sehen sind.

Aber nun bin ich ja auf den Straßen der Priviligierten und sogleich ist mehr Raum und Luft. Am Meer flanieren viele Neapolitaner, die das schöne Wetter für ein Schwätzchen im Hafen nutzen. Riesige Möwen versetzen mich in Staunen, sind sie doch an der Nordsee deutlich kleiner. Eine Neapolitanerin meint, sie haben hier sehr viel zu fressen, in der Stadt bleibt viel übrig und die Müllcontainer können nicht alles aufnehmen.

Ich fahre mit dem „Funiculare“ auf eine Anhöhe, wo man einen besonders schönen Blick über den Golf genießen kann und schlendere langsam die Straße, die hier in Serpentinen den Hang hinunterführt, entlang. Überall treffe ich auf Fotographen, die das Licht und die Aussicht nutzen um gute Fotos zu schießen. Den Rest des Nachmittags bringe ich damit zu, immer wieder in neuen Windungen die Aussicht zu genießen. Der Weg ist lang, hin und wieder halte ich Ausschau nach einem Bus der mich aber, wenn er kommt nicht mehr interessiert, weil ich schon wieder einen neuen Blick habe, der mich fesselt. Eine junge Dame fragt mich nach einer Tankstelle und ich kann helfen, weil ich kurz zuvor eine gesehen habe. Das ist erfreulich. Nach einem langen Weg in Serpentinen den Berg hinab tauche ich wieder in die quirlige Stadt ein und nehme den bequemen Zug zurück ins historische Zentrum.

Zurück in der Stadt laufe ich immer wieder an diesen herrlichen Obst- und Gemüseständen vorbei, die ihre Produkte so ansprechend feilbieten.

25.01.2023 Neapel – im archeologischen Museum

Figuren aus Pompeij, die zu religiösen Zwecken oder auch als Spielzeug gedient haben können.

Im archeologischen Nationalmuseum von Neapel bin ich beeindruckt von den großen Statuen der alten Stadt Herkulaeum, die von den Griechen errichtet wurde und sich südlich des heutigen Zentrums von Neapel befand. Vor Ort befinden sich auch viele schöne Mosaikbilder, Vasen und Gesbrauchsgegenstände aus Pompeij, dass ich vor 20 Jahren mit Ulrike und Aaron einmal besucht habe. Ich verbringe Stunden hier und bin schier überwältigt von der Fülle an Gegenständen, die die vielen Archäologen zusammengetragen haben. Sie werden jeweils für ihre Leistungen in eigenen Räumen auf überlebensgroßen Tafeln gewürdigt. Aber außer für ein paar Zeilen auf den Beschreibungen, die in Italienisch und in Englisch gehalten sind, reicht meine Neugier nicht. Mein Interesse für die historischen Besonderheiten ist im Laufe meines Lebens etwas abgeklungen. Bin ich schon zu sehr gesättigt von der Geschichte oder den Geschichten? Ich weiß es nicht. Ich nehme das Bild der Gegenstände auf und versuche mir eine Vorstellung davon zu machen, wie sie hergestellt und gebraucht wurden. Was mir dabei besonders auf den Leib rückt, ist die Einsicht in die Vergänglichkeit des Lebens, dem hier durch eine Laune der Natur so jäh ein Ende gesetzt wurde. Eigentlich kann ich mich glücklich schätzen, dass mir schon so viele Jahre beschieden wurden und ich den Luxus genieße mir das alles anschauen zu dürfen. Nicht allzu viele Menschen haben die Zeit und die Beweglichkeit sich in diese „Geschichten“ vertiefen zu können. Allerdings mangelt es mir hier an einer geeigneten Führung, die die Gegenstände mit Schilderungen aus der Zeit beleben könnte. Der „Audioguide“, den ich mir geleistet habe beschreibt lediglich, was man zu sehen bekommt mit einigen Stichworten zur Zeit und der Bedeutung der Werke.

Wenn man in Neapel ist, muss man sich auch einige der vielen kulturellen Besonderheiten antun. Ein Besuch der Oper verkneife ich mir angesichts der hohen Kosten und der Tatsache, dass das die Aufführungen zur Zeit ausgelagert sind, ich also nicht ins alte Theater kann. Auch nötigt mir die Geschichte der Stadt und ihr Ruf gehörigen Respekt ab – ich mache Abends keine langen Wege durch die Stadt. Aber ich habe mir immerhin den Palast der Bourbonen angeschaut und das Archeologische Museum. Der Palast hat mich nicht besonders beeindruckt, da ich mir schon einige Schlösser an der Loire, Versailles und Sanssouci angeschaut habe und sie leiden alle an den selben Beschränkungen. Sie sind zu groß, zu üppig ausgestattet und man sieht tatsächlich nichts mehr von dem Leben der Bewohner. Meist sind sie kalt, leblos und eigentlich häßlich, wenn man bedenkt, dass sie mit dem Blut und Schweiß der Bauern errichtet wurden. Welch ein Segen für die Nachwelt, dass wir die Aristokratie überwunden haben. Mich interessiert mehr der Alltag der Bauern und Handwerker, die in den kleineren Museen der Umgebung ausgestellt sind.

Besondere Aufmerksamkeit zieht das erotische Kabinett der Fundstücke aus Pompeij auf sich, das ein freizügiges Interesse an den körperlichen Freuden des Liebeslebens bei den Etruskern offenbart. Dieser Teil der Ausstellung wurde von den prüden Bourbonen vor der Öffentlichkeit versteckt gehalten. Wahrscheinlich war das der Preis für die Duldung ihrer Herrschaft durch den Papst. Die Lebensfreude und der leichte Lebensstil der Etrusker war mir schon in den Grabstätten in Tarquinia aufgefallen. Wahrscheinlich interessiere ich mich deshalb mehr für sie als für die Römer, die mir schon im Lateinunterricht der Schulzeit mit ihren Ränken und Krisen zur Last gefallen sind. Allerdings lassen sich die Werke nicht alle eindeutig einer Epoche zuordnen, weil Pompeij von verschieden Völkern bewohnt war, deren Herkunft und Schöpfungen nicht restlos aufgeklärt sind.

Heute verehrt man in Neapel die Produkte neuzeitlicher Fortbewegung, von denen anscheinend der VW-Bus eine Sonderstellung einnimmt. Die Erfahrung mache ich auch mit meinem Bus, der von vielen Italienern begehrt wird. Ich hätte ihn gleich fünfmal verkaufen können, wenn ich mich den bescheidenen Einsätzen der Einwohner begnügt hätte.

In Neapel mische ich mich am letzten Tag noch unter eine Gruppe von Schülern, die gerade ein Museum zur Geschichte der Infektionskrankheiten aufsuchen. In einem historischen Krankensaal wird allerhand zur Geschichte der Pest, ihrer Behandlung und Bekämpfung ausgestellt. Auch die Entdecker der mikrobiologisch wahrgenommenen Erkrankungen, wie Typhus, Cholera, Tuberkulose und Pocken werden dargestellt. Für mich ist es sehr interessant, weil eine Lehrerin die ersehnten Erklärungen liefert. Es endet mit einer Erläuterung zur Entdeckung moderner Viren, wie AIDS, Hühnerpest und Sars-Covid-2.

Diese prachtvolle Vase aus Pompeij hat meine Aufmerksamkeit erregt, weil sie die einzigartige Kunstfertigkeit der Töpfer zeigt und anhand der schönen Bildnisse Einblick in das Leben und die Fantasien der Bewohner gibt. Sie bildet einen Höhepunkt der Gestaltungskunst und ist sehr gut erhalten. Die Asche des Vesuv hatte sie bis zu den Aufgrabungen in Pompeij durch die Untertanen von Karl von Bourban im Jahre 1748 versteckt gehalten. Es waren zwar schon 200 Jahre vorher einige Steine entdeckt worden, deren Bedeutung man aber nicht einordnen konnte.

Die Entdeckung der Geschichte folgt anscheinend dem Aufbau eines Mosaiks, das über so viele Teilchen verfügt, dass es in einem Menschenleben so wenig erfasst werden kann, wie das Firmament. Es bleibt eine Leistung der ganzen Menschheit die Tatsachen der Geschichte zusammenzutragen und sie in kleinen Episoden der Wahrheit zugänglich zu machen – das heißt schlüssig und glaubwürdig zu erzählen und aufzunehmen.

26.01.2023 Auf nach Sizilien

Am Donnerstag, einen Tag früher als beabsichtigt, mache ich mich auf den Weg nach Sizilien. Es war einfach zu kalt in Neapel und es treibt mich die Sehnsucht nach vertrauten Gesichtern, nach Miriam und Adriano. Auch wenn ich zuletzt noch gezögert habe, weil mich Miriam darauf vorbereitet hat, dass in der Gruppe der betreuten Kinder eines Covid hat. Aber ich habe keine Angst vor Covid, eher vor der langen Strecke und der Ungewissheit, was mich erwartet, wenn ich die Meerenge bei Messina überquere.

Auf dem Weg muss ich einen Übernachtungsstop einlegen. Weil es immer noch fast 900 km sind. Miriam sendet mir noch eine fürsorgliche Nachricht, dass ich mich in Acht vor Anhaltern und fingierten Unfällen nehmen soll, dort kommt es schon mal zu Raubversuchen. Ich war schon zweimal auf Sizilien, das erste Mal mit Elisabeth in den 90iger Jahren in einem Landstrich hinter Kathania, danach nochmal mit Julia in der Nähe von Taormina. Nie habe ich mich gefürchtet. Aber jetzt bin ich deutlich ängstlicher, weil ich mich angesichts meines Alters unsicherer fühle. Ich fühle mich nicht mehr so wehrhaft. Aber soviel ist vorwegzunehmen, keine der Fantasien, die ich mir über die Möglichkeiten des Schadennehmens gemacht habe, ist wirklich geworden. Das hat etwas beruhigendes. Beunruhigend finde ich eher, dass die Freude an den Entdeckungen geringer geworden ist.

In Scilla treffe ich auf einen ausgesprochen hübschen Ort, den ich leider erst im Dunkeln erreiche. Er hat neben einem kleinen historischen Zentrum auf der Höhe mit einer kleinen Festung, einen wunderschönen Straßenzug direkt am Meer. Die Häuser stehen dicht gedrängt am Wasser und auf kleinen Zwischenräumen liegen die Fischerboote, die, weil es keine Autos gibt, dem Ganzen den Eindruck eines vorzeitlichen Fischerdorfes geben. Ich, an die Gezeiten der Nordsee gewöhnt, frage mich allerdings, ob die Menschen hier nicht hin und wieder nasse Füsse bekommen, wenn das Meer stürmt. Aber die Häuser sind so gut wie unbeschädigt. Nach einem guten Essen im letzten noch offenen Lokal mache ich mich auf den Weg zum Hotel, das ich einer Übernachtung im Freien vorgezogen habe. Das Wetter war einfach zu schlecht. Den am nächsten Morgen vorgesehenen Spaziergang über den Strand muss ich auch abblasen, da tiefhängende Regenwolken ihre Wasserlast über den Ort ausschütten. Ich setze mich deshalb gleich ins Auto und fahre über die Küstenstraße nach St.Giovanni zur Fähre nach Messina. Leider gibt es von Scilla keine Bilder, weil es zu dunkel und zu trübe war.

Erst als ich nach Sizilien übersetze und der Himmel ein wenig aufreisst und sich Licht über die Meerenge bei Messina ergießt kann ich wieder fotographieren. Die Überfahrt verläuft ruhig. Allerdings habe ich nicht den Rat der Hotelbesitzerin befolgt und die private Fähre genommen. Ich habe die staatliche genommen, der man nachsagt, sie sei weniger gepflegt und unzuverlässiger. Das kann ich nicht bestätigen. Sie braucht zwar länger, dafür befindet sich ihr Verladehafen im Süden von Messina und man erspart sich die lange Fahrt durch die engen Straßen der 236.0000 Einwohner zählenden Stadt.

27.01.2023 Durch Sizilien

Überfahrt nach Messina
Scilla bei Nacht
Blick von Enna zum Ätna
Enna – die Terasse von Sizilien

Der Weg führt von Messina über eine schmale aber gut ausgebaute Autobahn nach Kathania. Der Ätna hält die kalten Nordwinde zurück und vor mir offnet sich ein weites Tal mit vielen Apfelsinenplantagen. Es ist mit 16°C angenehm warm nach der Durchquerung von Kalabrien, wo ich zeitweise noch Reste eines heftigen Schneeeinbruchs auf der Autobahn zu sehen bekam.

Catania lasse ich schnell hinter mir und fahre auf einer gut ausgebauten Autobahn in Richtung Palermo. Das Land hat viel Brache und steinige Weiden, auf denen hin und wieder Schafsherden weiden. Mein Ziel zur Mittagspause ist Enna, eine Stadt auf 1000 m Höhe, von der man einen herrlichen Blick über die Insel hat. Sie trägt ihren Namen „Terasse Siziliens“ zu recht. Allerdings ist es auf der Höhe gleich mal 10°C kälter und ich flüchte mich bibbernd in eine kleine Pizzabäckerei im Zentrum.

Nach einem kleinen Rundgang möchte ich ein paar Orangen als Mitbringsel für Miri und Adri kaufen. Aber der Verkäufer erkennt in mir angesichts meiner Fragen den Touristen und beschenkt mich mit ausgesprochen wohlschmeckenden großen Orangen der 1.Kategorie. An Kaufen war nicht so denken. Das war eine von mehreren angenehmen Überraschungen auf Sizilien.

Die Fahrt führt mich anschließend quer über die Insel nach Sciacca. Den schnelleren Weg über Palermo habe ich ausgelassen, weil ich ein wenig vom Land sehen wollte. Tatsächlich ist das eine gute Entscheidung, wie mir später auf meinem Weg zurück über Palermo deutlich wird, weil ich auf gut ausgebauten Fernstraßen etwas von der Insel zu sehen bekomme. Abends komme ich in Sciacca an und bin von dem langen Weg auch „rechtschaffend“müde.

Die nächsten Tage verbringe ich bei Miriam und Adriano, ihrem sizilianischen Freund in einer kleinen Stadtwohnung in Sciacca. Die Wohnung wurde von seinen Eltern vor 6 Jahren erworben um eine Bleibe in der Nähe der Familie zu besitzen. Hier verbringen sie ihre Urlaube und freie Zeit, soweit ihre Arbeit im Bremer Restaurant das zuläßt. Die Wohnung ist klein und gemütlich und hat etwas Höhlenartiges. Die Häuser der Altstadt stehen dichtgedrängt an einem Hügel und sind vielfach leerstehend, weil die Italiener, die sich hier dauerhaft aufhalten, es vorziehen in größeren und helleren Wohnungen zu leben. Die wurden um den Stadtkern gebaut.

Miriam und Adrian zeigen mir viele neue Orte in der Umgebung von Sciacca und ich genieße die schönen Stadtspaziergänge durch eine lebendige kleine Stadt, die direkt am Meer gelegen ist. Am Abend darf ich an einem lebhaften Essen im Restaurant teilnehmen, das vom „Konversation-Club“ veranstalted wird, den Miriams Sprachlehrerin veranstaltet.

In den kommenden Tagen regnet es hin und wieder und der Himmel öffnet zauberhafte Blicke auf die Kontraste am Horizont. Da Miriam zum Teil arbeitet und Adriano seine Freunde und Familie in der Umgebung hat mache ich meine Stadtspaziergänge allein.

Am Samstag sind wir zum Essen bei einer Tante auf dem Lande eingeladen und ich lerne die Lebensweise der Sizilianer in der heutigen Zeit kennen. Aus den Häusern gibt es nichts ungewöhnliches zu berichten, außer vielleicht, dass sie für einen langanhaltenden Sommer gebaut sind. Denn sie sind meist schlecht isoliert und zeigen in der kalten Jahreszeit ihre Schwächen. Das Preisniveau in den Bars und Restaurant offenbart, dass man hier auf einem bescheideneren Level lebt. Allerdings lassen es die Häuser nicht an Ausstattung missen, alles notwendige für einen modernen Haushalt ist vorhanden und die Bewohner legen Wert auf ein großzügig gestaltetes und gepflegtes Zuhause. Gewöhnungsbedürftig für mich ist, dass in allen Haushalten der Fernseher ununterbrochen läuft und selten Ruhe und Beschaulichkeit zuläßt.

Sciacca vom Hafen aus
Meerseindrücke im Winter
Typische Landschaft in Siziliens Inselinneren.
„Das Grün bricht aus dem Pflaster…“
Wer hier trinkt, kann sich was wünschen – ich wünsche mir … Läuterung! (Ich glaube, das darf man gar nicht sagen, wie bei den Sternschnuppen!)

18.02.2023 In Rom

In den letzten beiden Wochen habe ich mich nicht der Beschreibung meiner Erlebnisse widmen können. Eine heftige Erkältung hat mich niedergehalten. Nach meinem Ausflug nach Sizilien schwinden meine Kräfte und ich plage mich in unruhigen Nächten. Meine Gedanken folgen der Spur der Zweifel. Was wollte ich hier und was habe ich erreicht bzw. was erreiche ich noch? Es zeichnet sich eine tiefe Enttäuschung – Selbsttäuschung ab. Ich habe diese Reise geplant, um meiner Liebe zu Italien fhlolgend, einen tieferen Eindruck von diesem vielfältigen Land und seiner Kultur zu erhalten. Ich wollte neue Freunde finden und mich nicht nur der Faszination einer sonnendurchdrungenen Urlaubsreise hingeben, die nach wenigen Wochen endet und mir das Gefühl gibt, meine Kräfte für die Fortsetzung einer regelmäßigen Arbeit zu regenerieren.

Ich befinde mich (auch) auf der Suche „nach der Wahrheit über mich Selbst“ und dabei trifft mich der Schatten, dem ich länger keine Aufmerksamkeit gewidmet habe. Trauer und Schmerz über den Verlust meiner letzten Liebe – Antje – erfüllen mich genauso wie der Niedergang meiner Überzeugung ich könnte durch den Erwerb einer neuen (alten) Sprache meine Vitalität als junger Mann wieder gewinnen. Tatsächlich habe ich meine Reise mit dem Wunsch angetreten mit der Schönheit des Südens „mein Glück zu nähren“ werde aber auf die Begrenzungen aufmerksam gemacht, die mein Leben auch umgibt. Diesmal ist es nicht nur „Heimweh“ nach Bremen, es ist eine dieser „Seinskrisen“ aus denen man sich wünscht neue Impulse aufsteigen zu sehen (wie Phönix aus der Asche). Dieses „Alter-Ego“ ist mir nicht fremd. (Jetzt fällt mir der Doppelsinn dieses Begriffs auf und ich muss lachen. Es enthält nicht nur die Bedeutung eines alternativen Egos, das neben dem selbstbewußten, erfrischenden „ich erschließe mit die Welt“-Egos existiert, sondern die Konotation des „ich werde jetzt alt-Egos“ enthält.

Dabei geht es mir objektiv gesehen gut. Ich bin von hilfsbereiten und netten Menschen umgeben, lerne jeden Tag etwas dazu, kann (fast) jeden Tag in der Sonne spaziergehen und erfreue mich einer Gesundheit, die es mir ermöglicht jeden Morgen auf dem Kopf zu stehen und mir die Welt in umgekehrter Perspektive anzusehen. Also was stimmt hier nicht?

Da sind zum einen die mäßigen Fortschritte beim Erlernen der Sprache. Ich verstehe immernoch vieles nicht und arbeite mich mühsam durch die vielen speziellen Regeln der Sprachverwendung, der italienischen Grammatik und der nicht ganz einfachen Aussprache. Mein „selbstverliebtes“ Bildnis vom Lernen im Überflug erhält einen berechtigten Kratzer. Eine Sprache zu erlernen und sich in angemessener Weise über Wahrnehmung und Gefühl zu äußern ist nicht so einfach.

Zum Anderen verspüre ich wachsenden Überdruß an der Stadt und ihren Nachteilen. Auch wenn ich nach wie vor neugierig bin auf den „Mythos Rom“ bin, der jährlich Millionen von Besuchern anzieht. In einem der animierten Gespräche an der Schule über nationale und regionale Stereotype der vertretenen Ethnien merke ich, wie es aus mir herausbricht: ich will mich nicht länger nur mit dem Kunstschönen und der kulturellen Bedeutung dieser Stadt bemänteln. Ich zähle die Nachteile der Römer auf, die sich mir als Dauer-Besucher aufdrängen.

  • Dichter Verkehr dessen Beweglichkeit durch Platzmangel und Parken in zweiter Reihe häufig zu erliegen kommt.
  • Eine Vielzahl von Unfällen, die durch eine zuweilen aggressive und unaufmerksame Fahrweise zustande kommen.
  • Immer wieder auftretenden Massen von Touristen, die einen zum Warten anhalten und durch ihre bloße Existenz die Preise treiben und die Straßen verstopfen.
  • Eine gleichgültige Haltung vieler Römer gegenüber ihrer natürlichen Umgebung, die sich in schmutzigen Straßen und wilden Müllkippen in den Grünflächen äußert.
  • Ein müffelnder Fluß, der immer graubraun schimmert und offensichtlich an einem Mangel an Kläranlagen leidet.
  • Vernachlässigte öffentliche Parks mit aufgegebenen Sportanlagen und nutzlosen und verlassenen Gebäuden, sowie mittlerweile auch viele an invasiven Parasiten leidenden Pinien.
  • Eine Vielzahl an technischen Störungen, die die Funktionsfähigkeit von Fahrstühlen, Rolltreppen, Zügen und anderen öffentlichen Einrichtungen beeinträchtigen. und ein eklatanter Mangel an sauberen Klobrillen in öffentlichen Toiletten oder Bars und Restaurants. Nirgendwo sonst ist mir die große Diskrepanz zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut aufgefallen.

Zugleich fühle ich mich schlecht dabei aus der Perspektive des „Saubermanns aus Deutschland“ zu urteilen, der die Probleme der Stadt mit ihrem immensen Wachstum (mittlerweile leben fast 6 Millionen Menschen im Großraum Rom), dem starken Migrationsdruck und den heftigen Widersprüchen der Regierungszeit von Berlusconi und der zerstrittenen Linken zu kämpfen hat. Hätte ich Verantwortung zu tragen müsste ich Antworten geben, die helfen würden die Probleme der Stadt zu lösen. Mit einem Plastikverbot und der Einschränkung des öffentlichen Verkehrs ist es dabei nicht getan. Aber es wäre ein Anfang.

Eine Französin aus Paris kontert mein „spießiges“ Urteil mit der Feststellung, dass sie es mag, wenn eine Stadt nicht in eine „perfekte Ordnung“ eingezwängt ist. Sie hebt das gute Essen, das“freundlich-gelassene“ Lebensgefühl der Römer hervor, dass ihrer Ansicht nach nur in einer Stadt der tolerierten Unordnung gedeien kann, und die in Jahrhunderten gewachsene Ästhetik der „Belle-Arte“ hervor . Ihr Hintergrund ist eine Stadt, die an hektischer, agressiver Eile leidet und ihre Probleme in die „Bandelieuxs“ auslagert. In Rom leben viele Kulturen auf engem Raum, die sich „auch“ in Toleranz und helfender Akzeptanz üben. Ganz anders müsste sich das Urteil der ebenfalls anwesenden Madagassen, Ugander, Kasachen und Mexikaner ausnehmen, deren Hintergrund von anderen und wahrscheinlich heftigeren Problemen gekennzeichnet ist.

Ich merke, wie sich unter dem Eindruck der negativen Empfindungen mein Bild der Stadt gewandelt hat und beschließe mich künftig wieder mehr auf die schöneren Dinge zu konzentrieren, die sich vielleicht im Kleinen, noch Unentdeckten verbergen. Ich denke dabei an die Vielzahl von Blüten, die anfangen zu sprießen und die wilden Kanarienvögel, die ich auf einer Fahrradtour am Tiber gesehen hatte. Der Kommentar meines Lehrers Claudio zur Haltung der Römer zur Natur lautet: Sie, die Römer, seien auch ein bisschen enttäuscht von der Natur, weil sie ihnen die meiste Zeit des Jahres durch die Hitze nur eine trockene, gelbgrau verbrannte Erde beschert, deren Pflege sich nicht lohnt. Seltsam, wie sich die Negation des Naturschönen in der Empfindung des Menschen spiegelt, – wie bei mir. Aber der Trotz, der sich in der Antwort offenbart, hat etwas Infantiles.

Aufgegebene Sportanlagen am Rande von Rom

Schließlich komme ich zu dem Schluß, dass ich vielleicht zu lange hier weile und mir der emotionale Zufluß einfühlsamer Gespräche, vertrauter Begegnungen und Sicherheit vermittelnder gewachsener Orientierungspunkte, wie in der Stadt Bremen fehlen. Mein Aufenthalt hier ist, wie ich besonders während der Reise nach Neapel und Sizilien verspürt habe, nur dann frei von Angst, wenn ich mich einer Aktivität widme, die meine Aufmerksamkeit bindet: die alltägliche Versorgung, Stadtrundgänge, Gespräche in der Schule, die Lektüre in den mitgebrachten Büchern und gesellige Begegnungen, die ich bei Stadtführungen und bei gelegentlichen Ausflügen habe.

Der Aufenthalt meiner Tochter Miriam in der letzten Woche hat mir geholfen den Boden unter meinen Füßen wieder zu finden. In dem gemeinsamen Besuch der Schule und den abendlichen Begegnungen (tagsüber hat sie sich mit neuen Freunden getroffen um sich die Stadt aus einer jugendlichen Perspektive zu erschließen – da passte ich nicht rein) fand ich das Maß an vertrauter Teilhabe wieder, dass ich für ein gedeihliches Leben brauche. Auch das ist eine Erkenntnis aus meiner „Krise“. Ich brauche vielmehr vertraute Begegnung und verständnisvolle Anteilnahme an meinen Seelenbewegungen als ich mir vor einem halben Jahr bei der Vorbereitung der Reise noch eingestehen wollte. Und mir ist die Bedeutung der Sprachbeherrschung für Ausdruck der Empfindungen und eine Balance im Alltag klar geworden. An dieser Stelle offenbart sich meine Enttäuschung als „Selbsttäuschung“, deren Botschaft nur lauten kann – bleibe nicht zu lange allein auf Reisen!

26.02.2023 Tage in Rom und Acilia

Seit letztem Montag konzentriere ich mich auf den Unterricht und den Übungen zu Hause. Das Wochenende war etwas außerhalb der Routine mit abendlichen Fernsehsendungen aus Deutschland und dem obligatorischen Besuch am Meer, wo ich mir einen Lieblingsplatz am Strand eingerichtet habe. Von dem kann ich den Blick in die Ferne schweifen lassen und meinen Gedanken nachhängen. Massimiliano nennt es „Meditationen“. Tatsächlich hat es eine beruhigende Wirkung den Horizont als Strich am Ende einer riesigen blauen Fläche zu sehen und die Abwärtsbewegung der Sonne zu verfolgen während ich den Geräuschen der Wellen lausche. Hin und wieder unterbricht der Schrei einer Möwe den gleichförmigen Klang der Wellen. Dann wache ich auf und fixiere die Abwechslung auf dem Wasser; ein Fischerboot, das träge durch das gleissende Licht zieht, ein Surfer, der geschickt den kräuselnden Wellenspitzen ausweicht und hin und wieder abtaucht, wenn er das Gleichgewicht verloren hat. Ich denke an Ernst Hemingways: Der alte Mann und das Meer, das ich in meiner Jugend in die Hand bekam und gelesen habe ohne es wirklich zu verstehen. Mir scheint, es könnte nochmal eine Lektüre Wert sein. Vielleicht versöhnt es mit dem Gedanken der Vergänglichkeit, der sich angesichts der maroden Stadt mir langer Geschichte und der vielen Stunden allein mit mir immer wieder in meinen Gedankenstrom mischt.

Außerhalb der Routine deshalb, weil ich am Samstagabend das Glück habe, Massimiliano und seine Freunde auf eine Carnevalsparty in der Nähe der Termen von Caracalla begleiten zu dürfen. Dort stehen wir eine Stunde in einer langen Schlange von gelassen Wartenden, die Einlass in den Veranstaltungssaal begehren. Das geht nur langsam von statten, da am Eingang immer nur vier Personen durchgelassen werden, die einer einzelnen Person eine Eintrittskarte abringen müssen und ein Abonnement für die Nutzung weiterer Veranstaltungsstätten abschließen müssen. Deshalb sind die Eintrittspreise niedrig, mit den Einnahmen werden viele Musiker gesponsert, die es in Rom, wie in anderen Städten nicht leicht haben von ihrer Musik zu leben.

Drinnen herrscht eine ausgelassene Stimmung zu den Klängen einer großen Band, die mit einer Vielzahl von Instrumenten, darunter eine Tuba, drei Percussionisten, mehrere Trompeten, Saxephon und Sänger die sich abwechseln, ihre eigene Interpretation von bekannten Rock und Popliedern geben. Wir tanzen angesteckt von der Masse der freudig sich Bewegenden aller Altersstufen bis zum Ende der Veranstaltung gegen etwa 3 Uhr. Mein Alleinstellungsmerkmal sind die weißen Haare, die mir immer wieder Aufmerksamkeit an den Bars und Theken einbringen, so dass ich im Gedränge nie lange warten muss. Allerdings überrage ich auch mit meinen für deutsche Verhältnisse durchschnittlichen 1,80 m viele Anwesende, was mir bei Massimilianos Freunden den Spitznamen „il Grande“ eingebracht hat. Vielleicht ist es aber auch der wahrnehmbare Respekt vor dem „Alter“ der mir häufig den Vorzug bringt. Das Fest ist ein bisschen wie der „Jungbrunnen“ in Bremen, eine Tanznacht mit Spaß und vitalen Bewegungen zum Rhythmus der Musik.

Der Sonntag beginnt dann folgerichtig etwas schleppend, die Intervention gegen den Biorhytmus fordert ihren Tribut. Ich bin müde und schaffe es am Nachmittag nur mit elektrischer Unterstützung in die Stadt, wo ich einer Parade der Karnevalsanhänger auf dem Tiber beiwohnen möchte. Ich bekomme nur noch die Reste der Veranstaltung mit, die sich um 14.00 Uhr langst aufgelöst hat. Ich radle noch in die Nähe des Vatikans zum Castello S.Angello, die Engelsburg, die ich endlich einmal besichtigen will. Dummerweise habe ich mein Fahrradschloß vergessen und muss auf die Innenbesichtigung verzichten, weil ich mein Fahrrad nicht sicher abstellen kann.

An den darauffolgenden Tagen nutze ich das schöne Wetter und mache immer wieder ausgedehnte Stadtspaziergänge in Rom. Nach der Schule rutsche ich meist in die gewohnte Müdigkeit am Unterrichtsende während meiner langen „Dienstzeit“ an den Bremer Schulen. Erholung beschert mir ein Nickerchen, italienisch „Pisolino“ genannt, auf einer Bank im Park der Villa Aldobrandini. Danach schlendere ich durch die altbaugesäumten Straßen zum nächsten Ziel, einen Laden für Koffer, der allerdings, wie meistens in Rom, erst gegen 16.00 Uhr wieder öffnet (Montag), drei Kirchen, die Werke von Caravaggio ausstellen (Dienstag) oder eine Führung durch ein bekanntes Arbeiterviertel der Jahrhundertwende (San Saba, Donnerstag) . Am Freitag verbringe ich den Nachmittag auf einem sonnenbeschienen Platz im Park der Villa Borghese, von dessen Terasse man einen wundervollen Blick über das Panaroma der Stadt hat. Der Park ist wegen seiner Aussicht Anziehungspunkt vieler Touristen und lockt viele Straßenmusiker, die hier von Jazz über Blues viele bekannte Pop und Rocksongs spielen. Dabei lassen sie gelegentlich auch Passanten singen, die sich gerne präsentieren um ihr Können darzubieten. Das klingt gar nicht mal schlecht und wird häufig mit Applaus belohnt.

Lido die Ostia
Caravaggio – Kreuzigung von Petrus
Auf dem Weg nach San Saba – mitten in Rom
Piazza Centrale in San Saba
Pantheon an einem normalen Tag unter dem Ansturm der Touristen

27.02.2023 in Rom

Die neue Woche in Rom beginnt mit schlechtem Wetter. Für die Römer ist es gar nicht mal schlecht, weil sie den Regen dringend brauchen. Es fällt in Italien insgesamt zu wenig Regen, vor allem der Norden fürchtet eine erneute Dürre, die schon im vergangenen Jahren den Bauern schwer zu schaffen gemacht hat. Ich fange an mein „touristisches“ Bedürfnis nach Sonne zu hinterfragen. „Schlechtes Wetter“ ist hier der Mangel an Regen. „Des Einen Leid ist des Anderen Freud.“ kommt mir in den Sinn. Aber ich fange an mich mit den Einheimischen über die Nässe zu freuen. Es ist doch seltsam, wie sich über die Zeit die Perspektive verändert.

Der Besuch der Schule ist nun Alltag, der meinem Leben Struktur gibt, verdient aber trotzdem eine Hervorhebung. Denn ich bin immer mehr angetan von der Leistung, die hier erbracht wird. Menschen aus vielen unterschiedlichen Herkunftsländern, verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen konfessionellen Hintergründen werden hier geduldig in der Anwendung der italienischen Sprache unterrichtet. Meine Fortschritte sind zwar mäßig, was meinem Alter geschuldet ist, aber die jungen Leute, die hier mit großer Motivation lernen, kommen doch schnell voran. Und immer wieder ist es Massimiliano, der mit Abwechslung und Engagement, uns seine Sprache näherbringt. Aus den Klassenräumen dringt Gelächter, weil die Anwendung einer fremden Sprache immer wieder zu kuriosen Ausdrücken und Verwechslungen führt. Mittags bin ich immer froh, weil ich glaube ein Stück geschafft zu haben, muss ich mich doch die ganze Zeit in Italienisch ausdrücken und geduldig ertragen, wenn meine Fehler aufgedeckt werden. Aber das geht allen so.

Innerlich stelle ich mich schon langsam auf die Heimkehr in nur noch 2-3 Wochen ein und beschließe mich aufzuraffen und an den Nachmittagen noch ein paar Stadtspaziergänge einzubauen. Das ist für mich schon eine Leistung, was für alle anderen – vor allem Touristen – eine Selbstverständlichkeit ist. Denn ich bin nach dem Mittagsmahl meist erledigt und mir fallen die Augen zu. Die konzentrierte Arbeit am Vormittag und die lange Zeit, die ich nun schon in der Stadt verbringe, ermüden doch sehr. Zwischen 14.00 und 15.00 Uhr brauche ich meist eine Parkbank, weil der Weg zurück in die Wohnung sich meist nicht lohnt. Und ich scheine körperlich sehr geprägt zu sein von meiner „Dienstzeit“, in der ich zwischen 7.00 und 14.00 Uhr mich anzustrengen hatte und nach einer länger werdenden Pause zwischen 17.00 und 21.00 Uhr noch einen 70%-Peak hatte, bevor sich „Geist und Bein“ in die Ruhe der Nacht verabschiedet haben.

Am Dienstag entdecke ich eine kleine Küche in der Nähe der Schule mit ausgesprochen gutem Essen. Angezogen von einer kleinen Schlange, die sich vor dem Haus gebildet hat, warte ich geduldig bis ich bis zum Tresen vorgedrungen bin. Dort bestelle ich Huhn mit Bratkartoffeln (eine Abwechslung zu den ganzen Pizzen und Pastas) und bin angetan von dem leckeren, würzigen Geschmack. Danach mache ich mich auf die Suche nach einem Koffergeschäft, weil ich gerne die ganzen Sachen, die mir Miriam zurückgelassen hat ordentlich unterbringen will. Aber die Qualität der Billigprodukte aus Chinas ist zu schlecht und die „wertigen“ Produkte von Samsonite und Delsey zu teuer. Dazwischen liegen 2-300 €. Soviel will ich dann doch nicht ausgeben. Ich beschließe die Anschaffung auf die Zeit nach meiner Rückkehr zu verschieben, da habe ich mehr Muße und kann vielleicht etwas Gutes auf den Gebrauchtmarkt erstehen.

Die Vorführung des Films in der Schule ist so spannend, dass ich meinen Mittagsschlaf versäume. Ich schaue mir „Mio fratello e filigio unico“ (Mein Bruder ist ein Einzelkind) von Danielle Lucchetti an und bin sehr angetan von der hintergründigen Geschichte zweier Brüder, die die politischen Umbrüche des ausgehenden 20igsten Jahrhunderts aus der Perspektive ihres Heranwachsens schildern. Eine tragisch-komische Geschichte, die ganz im Zeichen der italienischen Filmkunst nach der Jahrtausendwende steht. Der Protagonist bietet ein hohes Maß an Identifikation an, weil er sich als jugendlicher „Revolutionär“ immer mehr zum liebenswerten Kümmerer wandelt. Er durchlebt alle Formen der Radikalisierung von den Faschisten bis zu den Linksalternativen Protesten und schafft es eine überzeugende Lebensperspektive zu entwickeln. Ein rührender und glaubwürdiger Film.

15.03.2023 Letzte Tage in Rom

In der letzten Woche habe ich mich innerlich auf den Besuch von Günther vorbereitet. Er bildet den Abschluss meines Aufenthaltes. Nachdem ich erhebliche Zweifel an der Dauer meines Aufenthaltes bekam, habe ich mich nochmal aufgerafft und versucht dem Alltag als Lernender wieder etwas mehr Positives abzugewinnen. Mehrere Unternehmungen mit Massimiliano haben dabei geholfen. Wir sind in seine Lieblingsbar in Acilia gegangen und haben ein Konzert im Ostteil der Stadt besucht. Dabei bekam ich immer wieder Gelegenheit zu kleinen Smalltalk-Gesprächen mit seinen Freunden.

Am Samstag den 4.3.23 sind wir auf einem Geburtstagsfest mit seinen Freunden. Es ist sehr voll und es gibt viel zu essen. Sie organisieren ihre Feste ähnlich wie bei uns, denn jeder bringt etwas mit. So habe ich Gelegenheit mich an vielen köstlichen Speisen zu erfreuen. Allerdings ist mein Magen nur noch begrenzt aufnahmefähig. Neben kleinen pizzaähnlichem Fingerfood, gibt es Gegartes Gemüse, Fleischhäppchen frittiert mit Joghurt-Dips und Reis- sowie Nudelsalate. Kartoffeln bilden selten die Grundlage der Speisen. Die Weine sind sehr gut und es gibt italienisches Bier. Ich verlebe einen netten Abend mit mehreren Gesprächen, wobei ich aber nicht Jeden richtig verstehe, weil manche ihren Dialekt etwas nuscheln. Am meisten Mühe sich verständlich zu machen geben sich die Frauen. Aber das ist auch nicht verwunderlich, da einige als Sprachlehrerinnen in Rom arbeiten.

Das Fest findet bei Elias, einem Peruaner in Lido di Ostia statt. Er hat mit seiner Frau und seiner Tochter eine Wohnung auf dem Dach eines achtstöckigen Wohnhauses mit großer Terasse, von der man einen guten Blick auf die Stadt und das Meer hat. Höhepunkt des Festes ist die Präsentation der Torte zu der gesungen und eine Polynese getanzt wird. Sie wird vor Ort vorbereitet und schmeckt köstlich. Die Freundin des Hauses, die sie bereitet hat, versteht ihr Handwerk.

In Massimilianos Bekanntenkreis befinden sich viele Immigranten aus verschiedenen Ländern und auch dieses Fest ist ein Beispiel für die Gastlichkeit und Integrationsbereitschaft der Römer. Aber vielleicht sind diese Begegnungen auch etwas speziell, weil Massimiliano und Giulia als Sprachlehrer viele Einwanderer kennen- und schätzenlernen. Dennoch bekomme ich den Eindruck, dass die Stadt ihren Charme aus der Begegnung vieler Nationalitäten bezieht. Das scheint schon in der frühen Geschichte so gewesen zu sein, war doch Rom schon bei den Römern ein Sehnsuchtsort vieler Europäer aus dem Mittelmeerraum. Manche, vor allem Sklaven, waren aber eher gezwungenermaßen hier. Den düsteren Abschnitten der Geschichte widmet man aber nicht so viel Aufmerksamkeit, den alle kommen mehr oder weniger wegen der „Belezza“ der Stadt. Ihr Schatten offenbart sich erst, wenn man den Alltag der Römer zur Zeit der Republik und der Kaiserreiche studiert oder eines der Werke „erzählender Geschichtsschreibung“ liest.

Blick vom Park der Villa Borghese auf den nordwestlichen Teil der Stadt

Nach der Lektüre der Werke von Francesca Melandri („Eva schläft“, „Auf Meereshöhe“ und „Alles außer mir“) fiel mir ein Buch von Robert Harris („Imperium“) über das Leben und Wirken von Cicero in die Hände, das einen Eindruck von der Rechtsgeschichte der Römer vermittelt. Aus der Perspektive seines Sklaven werden sein Aufstieg als Rechtsgelehrter und die Intrigen im alten Rom beschrieben. Ich bin gefesselt von den Ereignissen vor Caesars Aufstieg und der abstoßenden Grausamkeit zu jener Zeit. Allerdings vermag ich jetzt mehr mit den historischen Orten um Palatin, Kapitol und Aventin (drei der sieben Hügel) anzufangen. Wirklich studiert habe ich hier die Geschichte noch nicht. Das wäre ein weiteres Projekt beim nächsten Besuch der Stadt.

09.03.2023 Besuch von Günther

Mit Günther mache ich noch ein paar Ausflüge in und um die Stadt. Wir besuchen die Villa Farinese mit den berühmten Fresken aus der Schule und von Raffaelo, einem Zeitgenossen Michelangelos, mit dem er im Wettstreit um die Aufträge aus dem Vatikan stand.

Wandgemälde in der Villa Farinese

Ein Besuch im Park der Via Appia Antica vermittelt uns einen Eindruck von der Ruhe und Abgeschiedenheit der Parkanlagen inmitten der Stadt. Wir genießen die Sonne und die Beobachtung der Kanarienähnlichen Vögel, die hier als invasive Art gute Lebensbedingungen zu finden scheinen. Ich hatte sie schon öfter gesehen, aber selten kamen sie mir so unerschrocken nahe. Sie scheinen hier im Park gut an die vielen Spaziergänger und Wanderer gewöhnt zu sein.

Den Besuch in die frühchristlichen Gräber im Park ersparen wir uns, da von einer Besichtigung aus Mangel an eindrucksvollen Bildern abgeraten wurde. Auch die Via Appia selbst vermittelt auf grund des Verkehrs durch eng stehende Mauern wenig „Erbauliches“ aus der Geschichte. Erinnerungen an die grausame Geschichte der Kreuzigungen von aufständischen Sklaven, die hier stattgefunden haben sollen, sind hier auch völlig ausgelöscht.

Wir verlassen den Park nach einem Besuch in einem Vereinscafe am Rande eines Spielparks für Kinder durch eine enge Gasse, in der wir den Autos kaum ausweichen können. Die Busfahrt führt uns zurück ins Zentrum in die Nähe unserer Bahnstation nach Acilia. Dort beschließen wir den Abend mit einer viel zu großen Pizza in einem einfachen Restaurant am Rande eines verlassenen Parkes, in dem ich häufiger nachmittags meine Spaziergänge unternehme.

Der Sonntag ist angefüllt mit einem Ausflug nach Lido die Ostia. Wir besuchen die „Villa des Plinius“ mitten im Wald hinter dem Strand und radeln zum Strand. Die Römer wachen aus dem Winterschlaf auf und zeigen der Sonne ihre noch bleiche Haut. Wir spüren die Kraft der Sonne und sorgen uns um einen angemessenen Sonnenschutz, der hier ab Mitte März sehr wichtig wird. Dem Strand fehlt der Reiz schöner Urlaubsorte. Hinter einem gräulich-schmutzigen Strand stehen reihenweise Strandbars mit Umkleidekabinen und die großen Sportanlagen der Firmen und staatlichen Einrichtungen. Rom bestätigt auch hier seinen Ruf als schmutzige Stadt. Über 5 km ziehen sich die Gebäude entlang. Man kann viel konsumieren. Ich vermisse den Charme der Naturstrände an den Nordsee-Inseln und der Ostsee. Schönere Strände findet man aber auch in Italien, z.B. auf Sardinien und Sizilien.

*1956 in Kehl, aufgewachsen in Finsterwalde, Neuss und Berlin, TWLAK Lebensmittelchemie, Politik und Sport, Bäckergeselle und Berufsschullehrer Ernährung, Politik und Sport. Ernährungsberater. Tätigkeiten im Mehlwurm Berlin, SZ Am Rübekamp Bremen, Gewerbliche Lehranstalten Bremerhaven, SZ Delmestraße Bremen, Landesinstitut für Schulpraxis Bremen.
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